World of Mediacraft – ein Zeitreisegame durch die Mediengeschichte
Schlammfarbe anrühren, Kartoffeln zerschnitzen, nach Herzenslust mit Ton batzeln oder ein Siegel in kochendheißes Wachs drücken auf der einen Seite – Tablets, Digitalkameras, Chats und Tonstudio auf der anderen Seite. Wie passt das eigentlichzusammen und was hat das Ganze mit den kleinen bunten Klebepunkten zu tun, die die Kinder so eifrig auf ihren mitgeführten Spielkarten sammeln?
An drei Tagen im Oktober fand das World of Mediacraft Game im Rahmen des Kultur und Spiel aktiv Festivals am Marienhof statt. Auf eine „Zeitreise durch die Mediengeschichte – von der Steinzeit bis zur Gegenwart“ will das Veranstaltungszelt mitnehmen. Der World of Mediacraft Spielraum ist ein klassischen Fantasyrollenspielen nachempfundener realer Ausstellungsraum, der aus mehreren Modulen bzw. Leveln besteht, die durch Stellwände voneinander abgetrennt sind. In diesem erlebnishaften Spiel-, Erfahrungs- und Gestaltungsraum tauchen die TeilnehmerInnen auf sinnliche Weise in die digital-mediale Gameswelt ein. In verschiedenen Spielzügen meistern sie Level, welche die diversen „Medienzeiten“ verdeutlichen. Um den eigenen Rollencharakter mit Erfahrungspunkten auszustatten, suchen sich die Kinder vor Spielbeginn einen Mentor aus einer Reihe prägender Figuren der Mediengeschichte aus, darunter beispielsweise Antonio Meucci, einen Wegbereiter des Telefons, oder Astrid Lindgren als erfahrene Publizistin. Ihren anfänglichen Schatz an Kommunikations-, Geschicklichkeits- und Kreativitätspunkten können die Zeitreisenden im Spielverlauf in kurzen bis umfangreichen Quests vermehren – je nach Medienzeit stehen ihnen dabei unterschiedliche Hilfsmittel und Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung.
Das Sammeln der bunten Klebe-Erfahrungspunkte war ein großes Highlight am diesjährigen Kultur und Spiel aktiv Festival. Es verschaffte den Kindern in den leicht zu meisternden Aufgaben schnelle Erfolgserlebnisse und hielt sie auch in kniffligen Aufgaben dazu an, geduldig einen Lösungsweg zu suchen. Ob die Kinder dabei lediglich eine Medienzeit bespielten oder den ganzen Zeitparcour durchliefen, machte keinen Unterschied aus. Dabei ging es nicht darum, die „neuen“ gegen die „alten“ Medien auszuspielen, sondern deutlich zu machen, dass Medien als kommunikative und kreative Vermittler schon immer die Menschen zusammenbrachten und der Bewahrung von Wissen dienten.
Die Level und ihre „Medienzeiten“
World of Mediacraft möchte dazu anregen, sich mit den unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten von Medien früher und heute zu beschäftigen und der Frage nachzugehen, inwieweit sich das Spielen, Lernen, Gestalten und Kommunizieren im Laufe der Zeit verändert hat und ob die grundlegenden Motivationen zur Mediennutzung vom vortechnischen bis zum digitalen Zeitalter nicht doch dieselben geblieben sind. Die einzelnen Level des WOM-Zeltes drehten sich in diesem Jahr folgerichtig um die Schwerpunkte Kommunikation und Kollaboration, kreativ-gestalterischerische Mediennutzung und (analoge sowie digitale) Übermittlungformen und -wege. Sieben Mainquest leiteten die Level ein. Diese konnten auf unterschiedliche Arten gemeistert werden, wofür die Kinder je nach Lösungsweg Kommunikations-, Geschicklichkeits- oder Kreativitätspunkte erhielten. In diversen Bonusaufgaben vertieften sich die TeilnehmerInnen darüber hinaus in selbstgewählte Bereiche, Lieblingszeiten und -medien.
Level 1: Erzähl uns eine Geschichte
Ins 1. Level starteten die Zeitresenden mit dem Quest: „Erzähl uns eine Geschichte“. In der Steinzeit erhielten sie einen Einblick in die frühen Verständigungsformen der Höhlenmalerei. Selbst Farbe aus Pigmenten anmischen, Kreide und Asche zermahlen und sich mithilfe eines Steins eigene Pinsel aus Zweigen schnitzen stellte einen spannenden und unmittelbaren Zugang zu den frühgeschichtlichen Medien dar. In der Antike gab es anschließend die ersten Schriftzeichen zu entdecken und die eigene Geschichte in Ton zu formen oder auf Papyrus zu zeichnen. Ganze „Familiengeschichten“ entstanden hier im begeisterten Zusammenwerkeln von Klein und Groß.
Level 2: Schicke eine Botschaft
Das Mittelalter widmete sich schwerpunktsmäßig der Botentätigkeit. Mit der Brieftaube oder über den gefahrvollen Hindernisparcour wurden die von den Kindern aufwendig mit Tusche, Feder und Siegelwachs gestalteten Briefe verschickt. Auch mündliche Übertragungsformen erprobten die TeilnehmerInnen. Spielerisch wurde so klar, dass die medialen Übermittlungswege in der Vergangenheit sehr viel mehr Zeit erforderten als heute.
Level 3: Vervielfältige Deine Nachricht
Mit dem Buchdruck begann im Level 3 für die Kinder das Zeitalter der mechanischen Vervielfältigung ihrer Nachrichten, die sie mit Drucksätzen nun schon viel umfangreicher aufs Papier bringen konnten. Die Wand der Druckerwerkstatt füllte sich schnell mit den von den fleißigen Handwerkern angefertigten Flugblättern. Mit Linol- und Kartoffeldruck konnten diese weitere künstlerische Techniken erproben und ihre Nachrichten in kunterbunte Gewänder kleiden. Im Zeitungsverteilungsspiel mussten nun die Auflagen der Jahrhunderte zu den Häusern gebracht werden, im stark anwachsenden Zeitungsmarkt ein immer anstrengenderes Unterfangen!
Level 4: Mach ein Bild
Im 4. Level erschlossen sich den BesucherInnen weitere technische Geräte. Auf der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert ergaben sich mit Fotografie und Film ganz neue Ausdrucksformen: Daumen- und Rollkino, live gespieltes Schattentheater vor der Lichtquelle eines alten Filmprojektors oder das Versehen digitaler Bilder mit antikem Look. Im Betrachten verschiedener Bildausschnitte und ihrer jeweiligen Wirkung auf den Rezipienten wurde den TeilnehmerInnen auch die Manipulationsfähigkeit medialer Ausdrucksformen bewusst.
Level 5: Sende und empfange eine Nachricht
Im Zeitalter der Sendetätigkeit ging es darum, Nachrichten über räumliche und zeitliche Abstände hinweg zu übermitteln und mit anderen TeilnehmerInnen in Interaktion zu treten. Morsenachrichten konnten mit einer alten Morsetaste gesendet und vom Gegenüber entschlüsselt werden und über das Dosentelefon war die Stimme selbst über 10 Meter weit noch gut zu hören. Daneben lud auf dem Kasettenaufnahmerekorder eine Fortsetzungsgeschichte zum Mitmachen ein und im Spiel „Der Fernseher sagt“ durfte ein Kind die Rolle des allmächtigen Werbesprechers einnehmen und den anderen allerlei (mehr oder weniger) verrückte Dinge befehlen.
Level 6: Tob dich aus
Im nächsten Level ging es zu den frühen Videokonsolen der 70er-90er Jahre. Auf der Atari lief das Spiel Space Invader, ein Tanzteppich der PS 1 animierte zur Bewegung. Die Väter und Mütter fühlten sich hier schnell an ihre eigene Kindheit erinnert und „zockten“ einträchtig zusammen mit ihrem Nachwuchs vor dem Bildschirm oder machten sich daran, das knifflige Binärcode-Rätsel zu lösen.
Level 7:
In der Gegenwart eröffneten sich den TeilnehmerInnen schließlich Laptops, Tablets und das Internet. Mit der Tonematrix wurden einfache Musikstücke komponiert und mit Animoto kleine Filmsequenzen erstellt. Besonders eindrucksvoll für die Kinder war auch die Chatfunktion, die über google docs eine Nachricht mit nur einem Mausklick ins gegenüberliegende Zelt beförderte. Schneller geht es nun kaum. „Das ist ja gleichzeitig hier und dort“, staunten die jungen TeilnehmerInnen.
Mit verschiedenen Apps auf dem Tablet durften sich die BesucherInnen am Ende noch einmal durch alle 6 vorhergehenden Levels aufmachen und die Aufgaben nun digital lösen. Mit Morse- und Hieroglyphen App ging das Entschlüsseln nun doch schon viel schneller. Ein Bild oder ein kleiner Film waren ebenfalls im Nu erstellt und mit „Copy und Paste“ das Vervielfältigen mit wenigen Klicks beinahe bis ins Unendliche möglich.
Ob es auf die „alte“ oder „neue“ Art mehr Spass macht, soll hier einmal dahingestellt bleiben. Für die World of Mediacraft Zeitreisenden war das Vermischen analoger und digitaler Medienformen auf jeden Fall etwas ganz Selbstverständliches. Holz, Pinsel, Druckbuchstabe, Kamera, Spielekonsole oder Computer, ja selbst die eigenen Finger, wurden stufenlos als Teil der medialen Ausrüstungsgegenstände im Spieleuniversum angenommen und mit gleichbleibender Begeisterung in die kommunikativen, technisch-geschicklichen oder kreativen Aufgabenquests integriert.