Digitale Abenteuer auf der Bühne

Digitale Abenteuer auf der Bühne

Konzept des Workshops

Während eines wöchentlichen Workshops spielte eine Gruppe von Jugendlichen im Alter von 12-15 Jahren das Videospiel „Minecraft“. Ergänzend dazu führte der künstlerische Workshopleiter – in Community Arts Workshops „Facilitator“ genannt – mit Körper- und Spielübungen die Gruppe in die Grundlagen des Schauspiels ein. Im Laufe der Zeit verschoben die Jugendlichen ihren Schwerpunkt vom ausgelassenen miteinander Computerspielen hin zur Umsetzung ihrer gewonnenen digitalen Abenteuererlebnisse, in multimediale Rollenspiele.

Zentraler Bestandteil war eine intensive Auseinandersetzung mit dem Computerspiel  „Minecraft“, für das sich die Gruppe aufgrund seiner Erzählweise und technischen Strukturen sowie Möglichkeiten der theatralen Umsetzung von Geschichten entschieden hatte.

Das wöchentliche Angebot (Mär-Jul22, 17-19 h) leitete Jaume Villalba als Facilitator an. Da die geplante Präsentation im Rahmen des Community Arts Festivals 2022 (Programm) aus gesundheitlichen Gründen leider nicht statt finden konnte, entschied sich die Gruppe für zusätzliche Endproben im Oktober 22. Somit präsentieren die Jugendlichen ihr Projekt am 27.10.22 im Pixel².

Das IAKB und der Workshop-Ort

Das Institut für Angewandte Kulturelle Bildung, IAKB, ist Träger der Jugendhilfe und zugleich Theater, Bildungsstätte sowie Forschungs-Einrichtung. Künstler und Kulturpädagogen verknüpfen die Bereiche Kunst, Kultur mit Jugendarbeit und entfalten mit den neuen Methoden der Community Arts innovative Lernkulturen.

Der Workshop fand im Munich Center of Community Arts, MUCCA, statt. Das MUCCA, liegt im Kreativquartier München und bietet Entfaltungsmöglichkeiten für künstlerische, kulturpädagogische und soziale Projekte, interdisziplinäre Kulturarbeit und experimentelle Veranstaltungsformate.

Synergieeffekte:

  • Gaming Festival im Mucca, Phatos – im Juni 2022
  • Community Arts Festival 2022

Vorbereitung des Workshops

Bei der ersten Besprechung klärte die Gruppe ab, wie viele Jugendliche ihre eigenen Laptops benutzen würden. Zwei der TN brachten ihre eignen Laptops mit, den anderen stellte das IAKB Laptops zur Verfügung. Zwei Teilnehmer verfügten bereits über einen Minecraft-Account. Für die anderen zwei erstellten die Jugndlichen gemeinsam jeweils einen neuen Account.

Die Jugendlichen modifizierten peer-to-peer auf allen Laptops eine Variante des Spiels, mit der das Spielen in einer gemeinsamen digitalen Welt möglich ist. Mit den verschiedenen Einrichtungsgegenständen und Geräten, die im MUCCA zur Verfügung standen (Tische, Stühle, Bildschirme, Schiefertafel, Kabel), bauten sich die TN selbst ihren eigenen Spielraum. Es gab eine WLAN-Verbindung, die für die Online-Spielphasen dienen sollte.

Projektablauf/Umsetzung

Die Gruppe von vier Jugendlichen im Alter von 12-15 Jahren spielten das Videospiel „Minecraft“. Ergänzend dazu führte der künstlerische Workshopleiter – in Community Arts Workshops „Facilitator“ genannt – mit Körper- und Spielübungen die Gruppe in die Grundlagen des Schauspiels.

Im Laufe der Zeit verschoben die Jugendlichen ihren Schwerpunkt vom ausgelassenen miteinander Computerspielen in Richtung der dramaturgischen Möglichkeiten, die Minecraft anbietet. Die Teilnehmer reflektierten über die verschiedenen Elemente des Computerspiels, von den Figuren bis zu den Programmscripts, die das Spiel ändern können. Die Beteiligten beobachteten und diskutierten darüber, wie einzelne Elemente des Spiels in einer Geschichte erzählerisch eingesetzt werden könnten. Ihre Ideen und ihr Wissen tauschten sie untereinander aus. So testeten sie wechselweise verschiedene Möglichkeiten, die jedes Mal eine neue Geschichte initiierten.

Die Jungs diskutierten über mögliche Formen des Stücks unter dramaturgischen Gesichtspunkten. Damit nahm die Suche nach dem Plot des Stücks schnell Fahrt auf. Die verschiedenen Ideen sammelten die TN auf einer Tafel. 

Für den Erfolg des Projekts wichtig und methodisch angelegt konnte jeder Teilnehmer der Community einen persönlichen Anteil sowie seine Begeisterung für das Spiel zum Ausdruck bringen. Fortschreitende mehrmals durchgeführte Interviews – mit Video gefilmt – spiegelten die inhaltliche Entwicklung des Workshops. Mit der inklusiven Interviewtechnik der gegenseitigen Befragung reflektierten die TN intrinsisch motiviert, warum sie das Minecraftspielen gerne mögen, was sie daran so spannend finden. Sei es eine Leidenschaft für Technik oder für die Freiheit, die das Spiel in seiner Struktur anbietet, oder die Möglichkeit, virtuelle Gemeinschaften zu kreieren. Das Teamen in einer der Spielsessions mit Spieler*innen aus Norwegen eröffnete weitere neue, internationale und damit auch interkulturelle Möglichkeiten des des Projektprozesses: Aus der eigenen Wahrnehmung und der Perspektiven der Anderen entstand ein fruchtbarer Austausch, aus dem die TN schöpften, um sich neu auszuprobieren.

Mit der Zeit verknüpften die Teilnehmer erste Videoaufnahme-Erfahrungen mit Motiven des Spiels. Zuerst kurze Szenen aus dem Spiel selbst, später mit Stopmotion animierte Szenen. Aus freien Improvisationen, deren Techniken während der Schauspielübungen ausprobiert wurden, entstanden neue Ideen zu den einzelnen Situationen. Die jungen Filmer diskutierten über die genaue Umsetzung, schlugen Lösungen vor und erprobten diese unmittelbar.

Desweiteren erstellten alle zusammen szenische Studien mit verschiedenen Stimmungen, inspiriert durch die digitale Minecraft-Welt. Sie verwendeten dazu Requisiten und Orte im Mucca. Auf der Suche nach neuen Themen und Motiven, begannen die Jugendlichen eine spielerische Eroberung des Ortes, der zum Spielraum wurde. Ihre Erfindungen setzten sie in verschiedenen Räumlichkeiten des Gebäudes um: in den Proberäumen, im Kellerabgang, im Garten oder im Treppenaufgang. Dort ließen die Jungen Parallelen zu den unterschiedlichen Welten, die im Minecraft-Spiel zu finden sind, entstehen. Sie transformierten die Phantasiewelt des Computerspiels in die reale Welt und kosteten diese in vielen Facetten aus.

Auch mit Bewegungen experimentierten die Jugendlichen. Sie erprobten fließende oder sequenzielle Bewegungen und fragten sich welche Bewegungen entsprechen der Minecraft-Figuren und deren pixelartige Form? Auf diese freie spielerische Weise, entdeckten die TN wiederum intrinssich motiviert einige grundlegende Konzepte von Bewegungstheorien und setzten diese gleichzeitig um.

Gegen Ende des Workshops entwickelten die Jugendlichen aus einigen der entstandenen theatralen Ideen und Materialien plus ihr gewonnenes dramaturgisches Wissen ihre eigene Bühnenpräsentation.

Fazit

Das Feedback der Teilnehmer fiel ausgesprochen positiv aus. Sie beschrieben das gemeinsame Tun im Workshop als toll und spannend.  Besonders viel Freude bereitete ihnen das Entwickeln und Zusammenfügen der einzelnen „Puzzlteile“ ihrer Präsentation. Das hatten sie so vorher nicht vermutet!

Die Jugendlichen spiegelten auf spielerische Art und Weise Inhalte digitaler und realer Welten. Sie betrachteten die digigitale Welt kritisch und setzten sich intensiv mit ihr auseinander, indem sie deren Stukturen benannten, diskutierten und analysierten. Aus ihren Schlussfolgerungen erfanden sie ihre eigenen Geschichten und stellten sie mit theatralen Mitteln dar. Sie spürten ihren Figuren nach, probierten Charaktere aus und experimentierten in (Schau-)Spielsituationen. Mit der Zeit fassten sie immer mehr Mut für Improvisationen und entwickelten eine eigene extrovertierte Performance, die sich zu Beginn des Workshops keiner der Jugendlichen vorstellen konnte. Die Arbeit miteinander entwickelte sich zu einem gemeinsamen Flow. Entscheidungen wurden weitgehend in der Gruppe getroffen. Besonders bemerkenswert war, dass sich die Jugendlichen gegen Ende des Projekts selbstständig, außerhalb der Workshopzeiten trafen, um gemeinsam szenische Videos zu erstellen und sich damit neue Fähigkeiten im Bereich des Videoschnitts selbst aneigneten.

Das Konzept des Projekts bot ein hohes Maß an Flexibilität und Entscheidungsmöglichkeiten, das der Facilitator in vielen Punkten und Momenten nah an den Bedürfnissen der Teilnehmer und in künstlerischer Hinsicht vielfach gut ausschöpfen konnte.

Die Anziehungskraft der digitalen Technik scheint bei Jungs größer zu sein als bei Mädchen. Das erlebten die Projektleiter bei der Werbung für den Kurs über ihre persönlichen Kontakte. Bei der angestrebten Fortsetzung des Projekts ist es uns wichtig, mit einer erweiterten Geschlechter durchmischten Gruppe zu arbeiten. Wir hoffen aufgrund der entstandenen Begeisterung für das (Schau-)Spiel, dass die TN selbst peer-to-peer weitere (weibliche) Jugendliche finden, und wir zusammen eine lebendige Mehrdimesionalität erzeugen können – nicht nur in Bezug auf die Heterogenität der Gruppe und damit die Öffnung z.B. auf die Diskussion von Genderaspekten der und in der digitalen Welt, sondern im internationalen unterkulturellen Austausch, den Spielformate und Internet leicht zugänglich möglich machen.

Ausblick

Für kurze Zeit stieß ein geflüchteter Junge (10 Jahre) aus der Ukraine zur Gruppe. Er sprach kaum deutsch was die Verständigung anfangs sehr schwierig machte. Über das gemeinsame theatrale Spiel fanden die Teilnehmer zueinander. Wie bei einer Band, die durch gemeinsames Improvisieren mit Methoden der Community Music ein Musikstück entwickelt, sind die diese neuen Methoden auf theatrale Community-Prozesse übertragbar und in internationale Dimensionen ausgeweitet denkbar.